FRAGMENTE
Fragmente aus der Interviewrecherche zu BEYOND RE: production /2022
Fragment N° 1 Situation Ich habe gerade ein Kind Dass zehn Wochen alt ist Und ein Kind Dass zweieinhalb Jahre alt ist Bis Dienstag hatten wir keine Kita Ein halbes Jahr lang wegen Corona Also ich habe jetzt grade So eine sehr intensive Kind – Carearbeit – Blase Durch Corona noch krasser Total auf Kleinfamilie bezogen Was überhaupt nicht meine Art ist Aber auch sehr intensiv Schön Sehr fokussiert auf Kinder
Fragment N° 3 Anderes Ich so Alle haben gesagt Es wird super Es läuft super Ich fühlte mich gut Fast acht Monate Der Schwangerschaft Habe ich getanzt Ich war super fit Bei mir dauerte es ewig Zwanzig Stunden Schmerzen Ich wollte zu Hause Meinen Sohn bekommen Aber dann konnten wir Nichts anderes machen Als zum Krankenhaus zu fahren Ich habe dort Verschiedene Narkosen bekommen Ich konnte meine Beine nicht spüren Als ob ich meinen Körper verloren hätte Ich dachte oh mein Gott Werde ich wieder tanzen Alle haben mich untersucht Ich dachte Ist das noch mein Körper Ich und mein Körper Zwei Sachen Am Ende doch Kaiserschnitt Wie eine Trennung Von mir und was von mir ist Während dessen Geht man durch Vieles Was ist materiell was ist immateriell Wo bin ich Bin ich das hier Am Ende ist man sowieso Super glücklich Dass das Baby da ist Und lebt Am Ende ist alles gut Aber mit mir dauert es ewig Als Tänzerin Wieder selbst vertrauen Was ist das jetzt Ganz ein anderes Anderes Ich so
Fragment N°5 Das Gefährlichste Das Gefährlichste Gute Frage Das Gefährlichste Was ich bisher gemacht habe in meinem Leben Das Gefährlichste Die Frage ist schwierig zu beantworten Und ich hätte anders geantwortet In anderen Momenten des Lebens aber in den letzten Jahren glaube ich Das Gefährlichste Waren natürlich die Geburten
Fragment Kalt N° 8 Also ich habe das Gefühl Ab dem Moment wo man Mutter ist Und in den Freien Darstellenden Künsten produziert Wird dieses: eigentlich darf ich das eh nicht machen Nochmal viel brisanter Also diese Fragen von Rente Oder eben keine Rentenabsicherung Wenn man dann halt so einen Brief bekommt Ja sie kriegen wenn sie weiterhin so und so viel einzahlen Kriegen sie 235 Euro Rente Also mir wird da richtig kalt Ich habe das bislang einfach immer so abgeheftet Sonst könnte ich diesen Job gar nicht weitermachen Also sonst müsste ich einfach sofort was anderes arbeiten Es ist aber das wofür ich zwei Hochschulstudien gemacht habe Worauf meine ganze berufliche Laufbahn ausgerichtet war Auch ein Job den ich sehr liebe Den ich gerne mache Wo ich Feedback kriege dass ich den gut mache Wo ich eigentlich keinen Sinn drin sehe den aufzugeben Aber natürlich in dem Moment Wo du ein Kind hast So eine andere finanzielle Verantwortung Größere Wohnung brauchst Mehrkosten hast Weil das Kind irgendwie zwei Schuhgrößen im halben Jahr hat Da ist das dann irgendwann Wird das halt anders
Fragment N° 11 Rave-Träume Akut vermisse ich gerade alles und gerade jetzt vermisse ich ich vermisse Zeit für mich ich vermisse besonders Schlaf am Stück ich vermisse Sport zu machen und zu tanzen ich vermisse auch Alkohol ich vermisse laute Musik und Festivals ich vermisse Rauchen und Trinken und Drogen und auch durch die Pandemie vermisse ich total exzessive Theaterproben ich vermisse Live-Performances und ich vermisse diesen Feedback-Moment im künstlerischen Schaffen Das vermisse ich Obwohl ich total gerne das auch bin gerade: Mama Ich träume auch von Partys So Rave-Träume
Fragment N° 12 Scham Als Künstler*in Eben wenn man kein Erbe oder irgendwas hat Sagen wir mal finanzielle Absicherung In die man irgendwie hinein geboren ist Und wenn das auch nur die Aussicht ist Auf ein Erbe Geld das irgendwann kommt Wenn man das nicht hat Und sich trotzdem für diesen Beruf entscheidet Entgegen vielleicht der Ratschläge der Eltern Oder der Freund*innen Die das vielleicht nicht verstehen Wenn man das trotzdem durchzieht Dann will man das den anderen auch beweisen Und man muss natürlich An diesen Punkt gehen Also diese Sorge oder Angst überschreiten und Dann gibt es ja ganz lange immer diese Hoffnung Bewirbt sich auf dieses Stipendium und bekommt das Und dann wird diese Hoffnung geschürt Dass es irgendwann so einen Punkt gibt Dass man so eine Art Durchbruch Eben nach oben nicht nach unten hat Und sich das irgendwie etabliert Was ja für einen geringen Bruchteil der Leute auch funktioniert Oder was bei mir auch zeitweise funktioniert Wo sich aber raus stellt eigentlich in meinem gesamten Umfeld Ab einem bestimmten Alter funktioniert es nicht mehr so gut Oder eben ab dem Punkt wo man Kinder kriegt Und dann versucht man das eigentlich für sich selber zu lösen Also aus dieser Scham heraus Du bist ja selber schuld Du hast dich in eine prekäre Lage begeben Und mit diesem Selbstverwirklichungsquatsch In die Sackgasse Rue de la Kack rein Rein manövriert Es hat niemand gesagt, dass das funktioniert Es hat niemand gesagt, dass es funktioniert Forderungen zu stellen Kulturpolitische Oder eigentlich sind es doch gesellschaftspolitische Fragen Die sich in unseren Lebensläufen zugespitzt zeigen Super schwer das zu formulieren Als ein politisches Anliegen Weil die Scham da ist Du hast das ja selber zu verantworten und Du hast dich entschieden für diese Situation Jetzt musst du auch gucken wie du klarkommst Und dann versucht man das selber zu lösen Und man macht Unmögliches möglich Ich lebe etwas, was eigentlich unmöglich ist
Fragment N°15 Zähneputzen Mir graut Mir graut am meisten Vor der Zeit Zwischen 18:00 Uhr und 20:30 Uhr Das ist tatsächlich etwas Was schon lange so ist Und sich doch nicht verändert Als sie so klein waren War es die Zeit Der puren Erschöpfung Und es ist auch jetzt noch die Zeit Der puren Erschöpfung Und es ist auch die Zeit von Zähneputzen
Fragment N° 17 Frage Würdest Du auf meine Kinder aufpassen? Ja.
Fragment N° 2 Mütterkunst Ich glaube man weiß von vielen Künstlerinnen gar nicht Ob sie Kinder haben oder nicht Weil sie das schon glaube ich eher verstecken Astrid Lindgren zum Beispiel Eine Kinderbuchautorin ist ja auch eine Künstlerin Und die hat ja auch angefangen zu schreiben Weil sie ihrer Tochter Geschichten erzählt hat Aber ich weiß nicht ob so Ähm ich Intuitiv würde ich sagen Wenn es Künstlerinnen sind Die ihre Mutterschaft thematisieren Dass das dann auch irgendwie So eine bestimmte Art von Kunst dann wird Oder so wahrgenommen wird Das ist dann halt die mütterliche Kunst
Fragment N° 4 Raubbau und Abbau Ich finde schon Dass es eine krass körperliche Erfahrung ist Also ich finde Geburten ziemlich hardcore Hardcore Sache Die Schmerzen Ziemlich heavy Ist nicht bei allen so Aber bei Vielen Ich finde schon Dass mit dem Stillen diese Veränderung ich finde Was das mit dem Körper macht Was so ein Körper aussagt Also diese Veränderung Und auch dieser Raubbau Und dieser Abbau von Körper Dass der was Gutes ist auch trotzdem Weil der ist ja was Gutes Also die Geburt ist Furchtbar und schmerzhaft und schrecklich Und die produziert sowas Gutes Oder dass meine Zähne schlecht sind oder dass Augen schlechter werden oder so und trotzdem Sind diese körperlichen Veränderungen auch Irgendwie was Gutes
Fragment N°6 Bumm Mit zwei Freundinnen habe ich zu Abend gegessen. Auch beide Mütter. Und bei denen habe ich dann angesprochen, dass ich das so irre finde und warum das keiner sagt, wie dein Orgasmus sich verändert oder verändern kann nach Mutterschaft. Ich trommel euch mal, ich versuch das mal, meinen Orgasmus zu trommeln und das werde ich irgendwann auf die Bühne bringen. Also zuerst vor, bevor ich Mutter war (trommelt schnell) und jetzt nach den Kindern (trommelt langsam/selten). Und dann guckten die mich beide an und dann sagt eine von denen: na und? Soll ich dir meinen zeigen? (klopft einmal auf den Tisch)
Fragment N° 7 Reste Isst du die Essensreste deines Kindes? Klar.
Fragment N° 9 Klackern Da war ich bei so einem Kurs und jede Frau sollte irgendwas sagen. Was sie seit der Geburt hat, weil die haben alles. Mögliche. Gesagt, keine Ahnung: Schmerzen beim Stillen oder so irgendwie Narbenschmerzen bei irgendwelchen Geburtswunden. Und ich hatte das alles nicht. Und ich habe denen so zugehört und irgendwann war ich dran. Und ich so: also, wenn ich morgens so nackt durch die Wohnung gehe, machen meine Schamlippen, glaube ich so klösch, klösch, klösch. Und als ich das gemerkt habe, dachte ich wirklich. Ach du Scheiße. Geht das wieder zurück? Oder habe ich jetzt einfach ausgedehnte, schwere Schamlippen? Die rhythmisch aneinander. Klackern? Und wirklich der ganze Kurs in Stille, irgendwo so ein Lacher. Ich dachte, das gehört doch auch mal dazu. Damals wusste ich nicht, sagt das jetzt keine, weil das so lächerlich ist? Weil das nur ein Detail ist, das tut ja nicht weh?
Fragment N° 10 Mutterschaft repräsentieren Es ist in Projekten immer angenehm, mit Müttern zu arbeiten. Eine Freundin, mit der ich auch arbeite, sagt: seitdem ich Mutter bin, arbeite ich besser, fokussierter, klarer. Ich habe noch nie mit einer Mutter gearbeitet, wo ich dachte: ach Mensch, das klappt ja irgendwie gar nicht wegen den Strukturen und Verpflichtungen mit Kindern. Aber es wird nicht repräsentiert. Fällt eher zufällig auf. Plötzlich: ach echt, du hast Kinder? Angemessen repräsentiert wird Mutterschaft in der Kunst und überhaupt in der Gesellschaft sicher nicht. Ich glaube, ich habe das noch nie repräsentiert gesehen. Also wenn ich jetzt an dieses Wort Repräsentation denke, ich versuche das mal schnell zu übersetzen für mich, was das bedeuten könnte, wenn man Mutterschaft repräsentiert. So was wie: Achtung, wir sagen jetzt nicht nur unser Pronomen, sondern wir sagen jetzt mother of one Kid, two Kids in dem und dem Alter, brauchen die und die Aufmerksamkeit. Wie bei Repräsentationsformen, wo gesagt wird: divers und will so und so angesprochen werden oder ist sensibel und es darf nicht laut werden. Das habe ich jetzt noch nie gehört, dass da jetzt die Mütter repräsentiert werden mit ihren Bedürfnissen oder sowas. Wenn ich mich so vorstelle bei Projekten, da sage ich das manchmal: ich lebe in Hamburg, mein Freund, ich habe zwei Kinder. Da fließt das schon eher. Aber in der geschriebenen Bio oder in Programmheften glaube ich nicht, dass das da irgendwo steht.
Fragment N° 13 Sekt Eine Freundin kam auf den ersten Geburtstag von meinem Sohn mit so einer fetten Sektflasche. Glückwunsch an euch, wir waren schon gleich im ersten Jahr auseinander. Sie wollte darauf anstoßen, dass wir noch zusammen sind. Wie viele Beziehungen scheitern, fliegen auseinander, en masse, bis zum Umfallen. Ganz viel wird da vorher nicht vermittelt. Was das alles heißt für Paare. Natürlich gibt es auch Beispiele, wo es funktioniert. Aber was das für ein Stress ist für Viele. Vermutlich vor allem für die Hetero-Paare. Aber es stresst jede Beziehung. Ich hatte einen ganz starken Paradigmenwechsel als mich heterosexuell definierende Frau. Ich dachte, was ist das denn. Für ein Scheiß, diese Idee von Mann, Frau, Kind in einer Wohnung. Ich bin so aufgewachsen. Ich kenne das so. Ich hatte die klare Empfindung: das gehört überhaupt. Nicht zusammen. Frauen gehören zusammen. Männer gehören zusammen. Kinder sollten fluktuieren. Man sollte sich treffen. Ich sage. Nicht. Dass es in Ausnahmefällen nicht auch Männchen und Weibchen irgendwie nett beieinander haben. Und wir können schon froh sein. Wir leben in einem Haus, wo in der Nachbarschaft viel geht. Ich habe vorher in sehr anderen Konstellationen schon gewohnt. Ich hatte andere Lebensmodelle schon besucht. So will ich es mal sagen. Oder natürlich auch. Entworfen. Mit Menschen zusammen. Man sollte in Gruppen sein. Also das muss alles total anders. Diese Erkenntnis hatte für mich etwas Körperliches, die war tief. Das war so eine Erkenntnis, wo ich so dachte, nee, nee, nee das ist völlig konstruiert hier, eine ganz konstruierte Wurst.
Fragment N° 14 Untergehen Für mich war immer klar Dass wir untergehen Und dass der Mensch schuld ist Dass wir untergehen Und schon als Jugendliche War das meine absolute Überzeugung Trotzdem wollte ich Kinder Ich wollte unbedingt Kinder Ganz egoistisch Aber ich habe die halt In eine krasse Welt gesetzt Die total kaputt ist Ökologische Katastrophe denke ich Wird für ihn total krass Also eigentlich machen mir Menschen Angst Und das war schon immer so Aber jetzt finde ich das irgendwie noch krasser
Fragment N° 16 Zeit Wieviel Zeit hast Du für Dich? Gar keine Wieviel Zeit brauchst Du für Dich? Viel Wieviel Zeit hast Du für Deine Kunst? Gerade vielleicht sagen wir mal 30 Minuten am Tag Aber es gibt ja noch die Gedankenwelt Und da habe ich noch ein bisschen mehr Zeit für meine Kunst Ich würde mal sagen in der Gedankenwelt habe ich so eine Stunde Um zum Beispiel eine E-Mail zu schreiben oder irgendwas aufzuschreiben Habe ich fünfzehn Minuten oder zehn oder fünf Und wieviel Zeit brauchst Du für Deine Kunst? Ähm viel Und wieviel Zeit hast Du für Dein Kind? Ich habe gerade viel Zeit für meine Kinder Wieviel Zeit brauchst Du für Deine Kinder? Viel Sowohl in meiner Kunst als auch in meinem Aktivismus Ich bin fokussierter geworden Ich war vorher ausschweifender in meiner Arbeit Ich habe mir mehr Zeit gelassen Also zum Beispiel Bei Arbeitstreffen Und in aktivistischen Kontexten Wenn dann Leute so rumlabern Dann bin ich total genervt Weil ich Ich will Konzentriert Auf den Punkt Jetzt haben wir eine halbe Stunde Zeit Fertig Ich will kein Geplänkel mehr
Fragmente
Die Fragmente stammen aus Interview-Recherche im Rahmen von BEYOND RE:Production. Es wurden Gespräche und Interviews mit zahlreichen Künstler*innen im Zeitraum zwischen April und Dezember 2022 geführt.
Gesprächs-und Interviewpartner*innen:
Sylvi Kretzschmar, Liz Rech, Angela Kecinski, Regina Rossi, Nora Elberfeld, Hannah Kowalski, Lotte Dohmen, Sarah Lasaki, Teresa Monfared, Jenny Beyer, Lani Tran-Duc, Annika Scharm, Felizitas Stilleke, Martina Mahlknecht, Kathrin Affentranger, Sibylle Peters, Lois Bartels, Napuli Paul, Jesseline Preach, Barbara Schmidt-Rohr, Antje Pfundtner, Sarah Lasaki, Magali Sander Fett, Ruth Kröger, Frauke Scharf, Maren Schimmer, Ariane Isabel Unfried, Marina Mendo, Camila Falcão, Laura Uhlig, Johanna Biedermann, Esther Pilkington u.a.
Wir bedanken uns bei allen Gesprächs- und Interviewpartner*innen
BEYOND RE:PRODUCTION.
Mothering in the performing arts