About BEYOND RE:production


BEYOND RE:production

Ein performatives Rechercheprojekt von Liz Rech, Annika Scharm und Sylvi Kretzschmar

Mutterschaft ist nicht einfach Privatsache, sondern hat eine gesellschaftliche und historische Dimension. Das meint der Begriff >>Mutterkomplex<<… (Franziska Schutzbach)

ALSO, IN IHREM ZUSTAND…! – DIE SOGENANNTEN RAHMENBEDINGUNGEN

Kinder bekommen ist Privatsache – oder? Nein. Schwanger zu sein und Mutter zu werden ist eben keine Privatangelegenheit – das merkt man spätestens dann, wenn einem schon vor der Geburt wildfremde Menschen an den Bauch fassen und man kritisch angeguckt wird, wenn man abends auf einer Feier auftaucht, bei der geraucht wird. Und das geht nach der Geburt weiter, wenn einem plötzlich selbst von Männern im Umfeld (die keine Kinder haben und sonst nie über Kinder reden) erzählt wird, dass „Stillen ja das beste für ein Kind ist“. Woher weiß er das so plötzlich? Er weiß es, weil in unserem kollektiven Unterbewusstsein sehr wirkmächtige Bilder, ideologische Konstrukte und hartnäckige Rollenerwartungen an DIE MUTTER existieren, von denen sich niemand so einfach frei machen kann. Dabei ist sehr wichtig sich klarzumachen, dass „Mutterschaft (…) historisch eine Bühne männlicher Vorstellungen“ (Franziska Schutzbach) ist und das Bild der idealen Mutter während des Patriarchats entworfen wurde. Es lassen sich dafür unzählige Beispiele anführen, stellvertretend sei an dieser Stelle lediglich Jean-Jaques Rousseau erwähnt, der das Bild der selbstlosen, aufopferungsvollen Mutter romantisiert und propagiert. Solche Denkmuster wurden in der faschistischen Familienideologie gefeiert und werden in konservativen Rollenmodellen der CSU und AfD immer weiter reproduziert und instrumentalisiert. In der Praxis haben selbstverständlich schon immer auch Frauen mitbestimmt, was Mutterschaft bedeutet. Seit den 60er Jahren haben Feminist*innen verstärkt zum Thema Reproduktionsarbeit und Care Work andere Positionen entwickelt, wie beispielsweise die Bewegung „Wages for Housework“ – übersetzt: Lohn für Hausarbeit – von 1975: „Sie nennen es Liebe, wir nennen es unbezahlte Arbeit.“). Trotzdem werden 80 % der Haus- und Familienarbeit in Deutschland immer noch von Frauen übernommen, weil die traditionellen gesellschaftlichen Erwartungshaltungen und Rollenbilder eben immer noch sehr wirksam sind. Über die veränderte Rolle der Mutterschaft in der Gesellschaft wurde viel geschrieben und in der Tat sind die Familienbilder im Wandel begriffen. Das Projekt BEYOND RE/PRODUKTION ist eine thematische Auseinandersetzung mit dem Bild von Mütterlichkeit (Mothering) in der Gegenwart und versteht sich als Versuch einer Bestandsaufnahme von gegenwärtigen Umbrüchen die Organisation von sozialer Reproduktion betreffend. Das performative Rechercheprojekt versteht sich als Teil eines feministischen Diskussionsprozesses, aber nicht nur – Mutterschaft befindet sich am Knotenpunkt vieler politischer Diskussionen, welche Dilemmata beschreiben, die am Bild der berufstätigen sozialen Mutter lediglich besonders deutlich werden. BEYOND RE/PRODUKTION wird dabei spezifisch eine Arbeitswelt in den Blick nehmen, deren Rollenmodell dem heutigen Neoliberalismus als Vorbild bei der Entwicklung des Bildes der zeitgenössischen flexiblen und hoch motivierten Arbeiter*in gedient hat – die der Kunst.

Dieses Projekt möchte eine Untersuchung unserer Alltagskultur vorschlagen, denn „Alltäglichkeit macht häufig unsichtbar“ (Felicita Reuschling) BEYOND RE/PRODUKTION bespricht spezifisch die Lebensrealitäten von Künstlerinnen, die Mütter sind, da sich in diesem Feld exemplarisch zeigt, was für viele Frauen Thema ist: nämlich die Erfahrung, dass die Vereinbarkeit von Kind und Beruf immer noch ein klassisches Frauenthema zu sein scheint. Aus vielen Gesprächen mit Müttern die auch im künstlerischen Bereich arbeiten und sich trotzdem für ein Leben mit Kind entschieden haben, zeigt sich, dass man mit der Geburt des Kindes – was die entscheidenden feministischen Fragen angeht – wieder scheinbar am Nullpunkt anfängt, obwohl man vorher dachte, dass man eigentlich in einer emanzipierten Gesellschaft/Umfeld/Beziehung lebt.

Die Beschäftigungsverhältnisse von Künstlern sind wie der Seismograph für die Entwicklung vonBeschäftigung in unserer Gesellschaft allgemein. (Barbara Kisseler)

 

WORKING MUMS IN THE (ART)FIELD – WENN DIE KÜNSTLERIN MUTTER WIRD

Schade dass du jetzt Mutter wirst , ich mochte immer deine Kunst.(Person XY zu Annika Scharm vor der Geburt ihres Kindes)

Es ist einfach eine gesellschaftliche Realität, dass ein männlicher Kollege im künstlerischen Feld so einen Satz nie zu hören bekommen hätte. Dass die Diskussion über die Vereinbarkeit von Mutterschaft und künstlerischer Tätigkeit auch inner halb der Performance- und Theaterszene äußerst virulent ist, zeigt die Künstlerinnen-Initiative „You Can Be a Mother and Still Be a Successful Artist“ (artsy.net), die damit auf eine provokante Einlassung der Performance-Künstlerin Marina Abramovic antworteten. In einem Interview im Tagesspiegel 2016 sagte die prominente Performancekünstlerin Abramovic nämlich wortwörtlich:

„Ich habe drei Mal abgetrieben, weil ich überzeugt war, dass es ein Desaster für meine Arbeit wäre. Man hat nur so und so viel Energie in seinem Körper, und die hätte ich teilen müssen. Das ist meiner Ansicht nach der Grund, warum Frauen in der Kunstwelt nicht so erfolgreich sind wie Männer.“

Die Reaktionen darauf waren heftig, auch weil damit Glaubenssätze zementiert werden, die Frauen an selbstbestimmten Entscheidungen hindern. Die Künstlerin Diana Al-Hadid brachte es in einer Replik auf den Punkt. Auf die Frage ob die Kinder ihr Künstlerleben verändert haben: „„No, my work hasn’t changed, and you wouldn’t ask a man that question. […] No one presumes it’s going to change (a man‘s) work – their work is their work and their private life is their private life.”

All das zeigt, dass die spezifischen gesellschaftlichen Erwartungen an eine künstlerisch tätige Mutter immer noch automatisch damit verknüpft sind, dass a) die Entscheidung für ein Kind eine persönliche Entscheidung gegen die Kunst ist, und dass b) für Frauen nach der Geburt der Karriereknick kommt. Das zeigen auch die zahlreichen besorgten Fragen von Kolleg*innen, die man im ersten Jahr gestellt bekommt. „Und was hast du jetzt vor?“ oder „Und wie geht das jetzt so mit Kind?“. Und tatsächlich ist das Leben als Mutter und Künstlerin eine Herausforderung, aber auch weil zu den bereits existenten gesellschaftlichen Problematiken zusätzlich noch die speziellen strukturellen Bedingungen innerhalb des künstlerischen freiberuflichen Arbeit kommen. Dazu kommen die immanenten, sehr wirkmächtigen Erwartung an die Rolle der Mutter die sich scheinbar mit der Rollenerwartung an eine Künstlerin überhaupt nicht verträgt. Ein extremes Beispiel ist das einer japanischen Kollegin, Miyuki Tanase, einer vielfach prämierte Autorin und Regisseurin, die erwähnte, dass sie in Japan ab dem Zeitpunkt, wo sie ein Kind bekäme nicht mehr als Theatermacherin arbeiten könne, einfach weil die gesellschaftlichen Rollenerwartungen in Japan dies nicht zuließen. Man wechselt dort ab dem Zeitpunkt der Geburt gewissermaßen in ein anderes Fach. Japan ist ein Land mit sehr traditionellen Familienbild, aber auch hier im europäischen Umfeld sind konventionelle Familienbilder immer noch sehr wirksam und Künstler*innen müssen sich dieser „Anrufungen“ in besonderem Maße erwehren. Das interessante ist, dass es im Bereich der Kunst Anrufungen von mehreren, sich widersprechenden Seiten sind: Die eine besteht in der konservativen Annahme, dass das Frausein nur durch die Mutterschaft vervollkommnet wird: „Nur durch die Mutterschaft bist du als als Frau komplett“. Auf der anderen Seite sind es häufig emanzipierte Frauen aus der Nachkriegsgeneration, die Frauen aus dem künstlerischen Bereich vom Kinderkriegen abraten. Zusätzlich wird von der gebildeten Frau im künstlerischen Feld erwartet, dass sie sich in einer emanzipatorischen Rollenteilung innerhalb ihrer Beziehung zwischen Mann und Frau einsetzt und eine gute Feministin ist. Das „good girl syndrome“ (Laury Penny) alles gut hinzubekommen und den äußeren Schein von Funktionalität wahren zu wollen, schlägt zu. Frauen im Kunstfeld befinden sich also in einer dreifachen Zwickmühle und die eigenen originären Wünsche von den Rollenerwartungen der Gesellschaft und des Kunstmarktes zu trennen ist sehr schwer. Unser Ausgangspunkt sind Mütter aus unserem unmittelbaren Umfeld, die jetzt als arbeitende Mütter in der Kunst- und Performancewelt tätig – oder nicht mehr tätig sind. Performatives Rechercheprojekt bedeutet in diesem Kontext, dass innerhalb eines künstlerisch-gestalteten Recherchesetups ausgehend von den Projektteilnehmer*innen Inhalte generiert werden, die dann im Rahmen einer Projektentwicklung mit szenischen Mitteln auf die Bühne gebracht werden.


Das Rechercheprojekt wird gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen einer Prozessförderung des Programms #Take Heart

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